Gertrud, Heidemarie und die Mülltrennung oder „Frauen morden ordentlich!“

„Umweltschutz ist so wichtig!“ dachte Gertrud, während sie von ihrem Lieblingsplatz am Fenster die Nachbarschaft beobachtete.

Sie hatte wie jeden Tag, wenn sie sich nach dem Hausputz eine kleine Pause gönnen wollte, die Blumen weggeräumt und stattdessen ein Kissen in die Fensterbank gelegt.

Gertrud liebte diesen Aussichtsplatz und zog das, was es draußen zu sehen gab, jeder nachmittäglichen Gerichtsshow vor.

Im Hintergrund nörgelte Hans-Werner, der Mann, der ihr seit mittlerweile 30 Jahren das Leben schwermachte. Heute war er besonders penetrant: „Musst du den ganzen Tag aus dem Fenster starren? Es gibt doch wirklich Wichtigeres! Hast du endlich meine Hemden gebügelt? Blöde Frage, natürlich nicht. Es ist dir ja schon lange egal, wie ich herumlaufe! Alles, was dich kümmert, ist, wie du dir einen noch dickeren Bauch anfuttern kannst und was die Nachbarn tun oder nicht tun. Wozu habe ich eigentlich eine Frau? Ich bekomme nichts Anständiges zu essen, laufe herum wie ein Penner und vernünftig unterhalten kann man sich mit dir auch nicht. Warum bin ich bloß früher in Rente gegangen? In der Firma hatte ich wenigstens ab und zu ein bisschen Freude am Leben. Verdammt noch mal, hörst du mir überhaupt zu?“

Gertrud hörte nicht zu. Sie war beschäftigt. Da ging doch Heidemarie, ihre langjährige Nachbarin, schon das dritte Mal an diesem Tag zum Müllcontainer und lud kleine Päckchen aus Alufolie ab! In den Hausmüll!!! Ganz davon abgesehen, dass diese in den gelben Wertstoffsack gehörten, fand Gertrud, Heidemarie könnte sich einige Arbeit sparen, wenn sie all diese Päckchen in eine Tüte packen und den Weg nur einmal machen würde.

Das ging nun schon seit ein paar Tagen so. Eigentlich war Heidemarie eine ebenso sorgfältige Hausfrau wie Gertrud, auch wenn ihre Männer dies bestreiten würden. Warum also diese Unachtsamkeit?

Außerdem teilten sie sich eine Mülltonne, und die Tatsache, dass Heidemarie Dinge hineinwarf, die nun einmal nicht hineingehörten, würde auf längere Sicht die Müllgebühren für beide erhöhen.

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Ordentliche Menschen trennen ihren Müll!

An diesem Tag marschierte Heidemarie noch zweimal mit diesen geheimnisvollen Päckchen zur Mülltonne. Gertrud schwankte zwischen Entrüstung und Neugier. „Was, zum Teufel, ist in diesen Päckchen?“ fragte sie sich laut. Das rief Hans-Werner auf den Plan: „Hältst du neuerdings Selbstgespräche? Was für Päckchen? Wann kriege ich in diesem Haus endlich etwas zu essen? Zu irgendwas musst du doch gut sein!“

Gertrud wandte sich schweren Herzens vom Fenster ab und begab sich in die Küche, um ihrer Ehefrauenpflicht Genüge zu tun und den längst ungeliebten Gatten mit einem Abendessen zu versorgen.

Die Päckchen gingen ihr allerdings den ganzen Abend nicht aus dem Kopf. Was konnten sie enthalten? Hatte Heidemarie womöglich illegal Batterien entsorgt? Gertrud war sich im Klaren darüber, dass sie kein Auge schließen würde, bevor sie nicht hinter dieses Geheimnis gekommen war.

Also wartete sie, bis Hans-Werner zu schnarchen begann, Ruhe im Viertel eintrat und sie sicher sein konnte, nicht beobachtet zu werden. Gegen Mitternacht trat sie, vorsichtig nach allen Seiten spähend, aus der Haustür und begab sich zur gemeinsamen Mülltonne.

Eines der Alupäckchen leuchtete im Licht der Straßenlaterne. Sie beugte sich über die Tonne und angelte danach – immer in Sorge, sie könnte bei ihrer Wühlerei entdeckt werden. Doch um diese Uhrzeit ließ sich selten jemand auf der Straße sehen außer dieser seltsamen Wohngemeinschaft aus Nr. 8. Aber die würden sich kaum über sie wundern, schließlich hatten sie selbst einige absonderliche Angewohnheiten. Wahrscheinlich bauten sie sogar Kokain in ihrem Garten an!

Als Gertrud das Päckchen in der Hand hielt, verschwand sie, so schnell sie konnte, wieder im Haus. Sie liebte Detektivgeschichten, und sie war sie so aufgeregt wie Miss Marple kurz vor der Entlarvung des Mörders.

Sie trug ihre Beute vorsichtig in die Küche, schaltete das Licht über dem Herd an und begann, das Päckchen auszuwickeln.

Mit einem unterdrückten Laut sprang sie auf. Da lag eine Hand auf ihrem Küchentisch. Es war eindeutig eine Männerhand, stark behaart und sie trug einen Ehering. Gertrud starrte ihren Fund an und versuchte angestrengt, ruhig zu bleiben. Wenn sie jetzt schrie, würde Hans-Werner aufwachen und eine Erklärung fordern. Das war jedoch das Letzte, zu dem sie sich momentan in der Lage sah. Sie holte tief Luft, überwand sich und trat näher. Wie kam eine menschliche Hand in die Alufolie? Und wie reimte sich das mit Heidemaries Wanderungen zusammen?

Gertruds Neugier siegte über ihre Angst. Sie nahm die Hand, biss die Zähne zusammen und zerrte an dem Ring. Es ging erstaunlich leicht. Mit angeekeltem Gesicht warf sie die Hand wieder auf den Tisch und inspizierte den Ring.

Da war eine Gravur auf der Innenseite: „Heidemarie, in Liebe 5.12.1961“. Achduliebemeinegüte, das war Robert! Nein, nicht der ganze Robert, aber doch seine Hand, und die Überlegung, dass er sich kaum freiwillig davon getrennt haben würde, führte zu der entsetzlichen Erkenntnis, was die anderen Päckchen wahrscheinlich enthielten.

Gertrud begann, an ihrem Verstand zu zweifeln. Heidemarie und Robert hatten nie den Eindruck gemacht, unglücklich zu sein. Sie hatten nie Streit gehabt, jedenfalls keinen, der im Nebenhaus zu hören gewesen wäre; alles schien vollkommen normal zu sein, so wie bei ihr und Hans-Werner.

Sollte die zarte Heidemarie etwa… Gertrud schauderte.

Die Nacht war weit vorangeschritten, als Gertrud das Päckchen wieder zur Mülltonne trug.

Sie hatte lange Auge in Auge mit Roberts Hand in der Küche gesessen und nachgedacht.

Am späten Vormittag des übernächsten Tages besuchte sie Heidemarie. Sie saßen in der Küche beim Kaffee, Gertrud zog den Ring aus ihrer Kitteltasche und schnippte ihn über den Tisch. „Heidemarie, du solltest besser darauf achten, was du in den Hausmüll wirfst. Du hast doch auch diese Broschüre der Stadtwerke bekommen, in der steht, dass Alufolie in die gelben Wertstoffsäcke gehört. Vor allem solltest du dir endlich angewöhnen, deinen Müll ordentlich zu trennen. Du kannst doch nicht alles zusammenwerfen! Also, wir sind da viel umweltbewusster! Als Hans-Werner gestern meinen Einkaufszettel sah, hat er mich gleich darauf aufmerksam gemacht, dass ich nicht so verschwenderisch mit Alufolie umgehen solle, wo die doch nicht biologisch abbaubar ist. Aber du weißt ja, wie sie sind, unsere Männer; halten sich viel zu selten in der Küche auf. Ich glaube tatsächlich, Hans-Werner hatte nicht den Hauch einer Ahnung, was ich mit zehn Rollen Alufolie zu tun gedenke.“ 

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